Von Katharern hat wohl jeder bereits einmal gehört. Auch die Waldenser sind zumindest einigen bekannt. Aber die Guglielmiten? Nie gehört! Zugegeben, es war nur eine kleine Gruppe – eine von vielen kleinen Sekten, die im 12. und 13. Jahrhunderte entstanden, und von deren Existenz wir oft nicht einmal etwas wissen. Sie waren einfach zu klein und zu wenig einflussreich, um auf überregionaler Ebene Aufmerksamkeit zu erregen. Und nur durch Zufall haben sich mitunter einige Dokumente erhalten, die uns von diesen Ketzergruppen Kunde bringen.
Auch die Guglielmiten waren für lange Zeit völlig aus der Erinnerung verschwunden, ehe der Fund einiger Inquisitionsprotokolle aus dem Jahre 1300 sie dem Vergessen entrissen. Was an dieser Ketzergruppe so besonders ist? Nun .- im Zentrum der Verehrung stand: eine Frau! Zu ihren Lebzeiten galt Guglielma von Mailand, Tochter des böhmischen Königs Premysl I. und seiner zweiten Frau Konstanze von Mailand als fromm und gottesfürchtig. Fast 21 Jahre lang, bis zu ihrem Tode im Jahre 1281, lebte sie in Mailand, wo sie Männer und Frauen um sich scharte, die sich wie sie in unauffällige, braune Gewänder kleidete. Wahrscheinlich hat Guglielma sich nie in irgend einer Weise verehren lassen. Das änderte sich erst nach ihrem Tod. Ein Kult mit geradezu abenteuerlichen Vorstellungen entwickelte sich! Guglielma, so glaubten ihre Anhänger, sei die Inkarnation des Heiligen Geistes; konsequenterweise setzte man ihren Geburtstag auf Pfingsten an. Wie Jesus sollte sie Gott und Mensch zugleich sein. Und wie er sollte auch Guglielma auferstanden und gen Himmel gefahren sein. Daran wiederum knüpften sich alle möglichen Heilserwartungen, aber auch die Hoffnung auf ein Ende allen Leidens und aller Kriege. Die Gruppe übernahm alle kirchlichen Ämter und Sakramente, aber im Unterschied zur Amtskirche waren es hier Frauen, die alle sonst den männlichen Priestern vorbehaltenen Tätigkeiten ausübten. Die Inquisitionsprotokolle behaupten, dass eine Frau zum Kardinal gewählt werden sollte. Im Mittelpunkt aber stand Schwester Mayfreda, die Guglielma noch persönlich gekannt hatte. Sie übte das Priesteramt aus und wurde besonders verehrt. Die Guglielmiten glaubten, dass Mayfreda Päpstin werden sollte, und dass alle Anhängerinnen Guglielmas dazu ausersehen seien, den Heiligen Geist empfangen und Apostel Christi zu werden.
Knapp 13 Jahre lang scheinen die Guglielmiten ungeschoren geblieben zu sein, denn den ersten Inquisitionsprozess gab es erst 1284. Weder über seinen Ausgang noch über den des zweiten im Jahre 1296 wissen wir etwas. Vom dritten und letzten Prozess im Jahre 1300 hingegen hat sich ein Teil der Akten erhalten. 33 Mitglieder der Sekte wurden angeklagt. Drei von ihnen – Schwester Mayfreda und die anderen beiden Anführer – wurden verbrannt, der Rest kam mit geringen Strafen davon. Das war das Ende der Ketzergruppe, die, für die mittelalterliche Welt unvorstellbar, eine Frau als eine Art zweiten Jesus verehrte.
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